SCHULHISTORIE
AUS SICHT VON BERNHARD HILZ
Vor 30 Jahren, im Frühjahr 1975, kam ich nach Unterhaching, um mich als Lehrer am damals ganz neuen Gymnasium zu bewerben. Ich wusste nur, es sei ein „Gymnasium im Aufbau“ und erst bei Klasse 8 angekommen. Ich erwartete somit eine relativ kleine und überschaubare Schulgemeinde; und der erste Eindruck war auch so: Der Direktor, Herr Gosse, empfing mich in einem winzigen Stübchen in der Grundschule an der Jahnstraße. Und dieses Gebäude, in dem nach meinen Informationen der gesamte Gymnasialunterricht stattfand und das ja auch den Grundschülern Heimat war, konnte ja wohl noch nicht sonderlich viele Gymnasiasten beherbergen! Dachte ich! Ich staunte aber nicht schlecht, als mir der Schulleiter eröffnete, man habe nun bereits 851 Schüler und alleine in der 5. Jahrgangsstufe acht (!) Parallelklassen bilden müssen. „Die bringen Sie doch hier unmöglich unter!“, meinte ich. „Genau so ist es!“, sagte Herr Gosse, „und drum haben wir die Hälfte der Schüler seit September schon mal in den Neubau gesteckt!“ „Aber der wird doch erst frühestens in einem Jahr fertig!“, wandte ich ein. Aber dann wurde ich aufgeklärt: Der Bau des Gymnasiums sei tatsächlich noch in vollem Gange, man habe aber im September bereits 14 Räume vorzeitig notdürftig fertiggestellt.
Frühjahr 2005 – fast ein Déjà-vu-Erlebnis! Auch wenn wir den Erweiterungsbau nicht vorzeitig beziehen mussten, war die Lage mit der vor 30 Jahren durchaus vergleichbar, Einzelheiten sogar erstaunlich ähnlich: Wieder hatten wir fast dieselbe Situation. Mit 1200 Schülern war die Schmerzgrenze erreicht. Absolute Raumnot! Steigende Schülerzahlen! Ein Erweiterungsbau war – wie damals der Neubau – in vollem Gange und wird im Herbst eingeweiht. Ich wurde 1975 vom damaligen Schulleiter durch den Neubau geführt. Und ich war damals – wieder vergleichbar! – sehr beeindruckt vom Konzept des Architekten Betz.
Heute heißt der Architekt wieder Betz; der Sohn vollendet das Werk des Vaters! Und damals wie heute schien es mir im Frühjahr völlig unmöglich, dass ein Einzug im Herbst möglich sei. Und nun, im Herbst 2005 – wie damals im Herbst 1975 –: wiederum Staunen über ein schieres Wunder und Freude pur. Noch im Juli 1975 besorgte ich mir den aktuellen Jahresbericht „meiner“ neuen Schule – und las Besorgniserregendes. Angesichts des massiven Schülerandrangs schrieb der Direktor: „Das alles bedeutet für unsere Schulgemeinschaft drohende Vermassung, Anonymität, Entfremdung, Schichtunterricht…“ Und der damalige 1. Bürgermeister und Vorsitzende des Zweckverbandes, Engelbert Kupka, gab zu bedenken, „dass die Schule schon bald nach der Fertigstellung ihres Neubaus aus allen Nähten platzen wird.“ Es könne „an eine stärkere Ausweitung des Gymnasiums in Unterhaching nicht gedacht werden, will man nicht in einen kaum noch zu verwaltenden Mammutschulbetrieb geraten.“ Aber die Zeiten und die Ansichten ändern sich, Notwendigkeiten und Möglichkeiten auch!
Als ich im September 1975 meinen Dienst antrat, war es mit dem Pendeln von Lehrern wie Schülern zwischen Grundschule und Gymnasium so gut wie vorbei, – die Schülerzahl war zwar inzwischen auf 1070 gestiegen, „die Großen“ schon in der 9. Klasse! – denn schon am 14.11.1975 war die feierliche Einweihung des Neubaus. Der erkrankte Kultusminister Hans Maier wurde von Ministerialrat Rolle vertreten. Es gab viele Reden, von Rolle, vom Direktor, dem Bürgermeister, dem Elternbeiratsvorsitzenden und noch einige Honoratioren. Alles wartete auf das kalte Büfett. Und wir feierten dann gebührend das gelungene, schöne, neue Schulhaus – das schönste, das ich kannte! – und alle freuten sich, dass nun auch endlich, endlich ausreichend Platz war! – Freilich nicht sehr lange! – Vielleicht sollte man aber, bevor die weitere Entwicklung geschildert wird, doch noch kurz auf die ersten Anfänge zurückblicken, die noch vor meiner Zeit liegen!
Die „Geburtsstunde“ des Gymnasiums Unterhaching schlug ja pikanterweise nicht in Unter-, sondern in Oberhaching! Dort, im Gasthof Bad Furth, fand am 26. Februar 1969 die Gründungsversammlung des „Fördervereins Gymnasium Hachinger Tal“ statt, der energisch die Errichtung eines Gymnasiums betrieb. Die Standortfrage, so heißt es im Protokoll mehrfach, spiele überhaupt keine Rolle, zumal sie der Verein ohnehin nicht klären könne. Sie war aber bald geklärt. Und zwar durch den Bürgersinn von Herrn Stumpf, der dem Förderverein ein geeignetes Grundstück für den Bau des geplanten Gymnasiums in Unterhaching zu schenken bereit war. Nach einer „zunächs offenbar unvermeidliche(n) Polemik“ in der außerordentlichen Sitzung des Gemeinderats vom 4. Februar 1971 (so steht es im Protokoll des Fördervereins) seien die Bedenken, den Unterrichtsbeginn schon für das Schuljahr 1971/72 zu beantragen, geschwunden.
Und nun ging es Schlag auf Schlag! Der Antrag wanderte eiligst von der Gemeinde zum Landratsamt, von diesem zur Regierung von Oberbayern, und lag schließlich noch vor dem entscheidenden Stichtag, dem 15. Februar, dem Kultusminister mit einer positiven Stellungnahme vor. Hätten sich die genannten Behörden jeweils auch nur drei Tage mehr zur Bearbeitung Zeit gelassen: unsere ersten Abiturienten hätten am 4. Juni 2005 nicht ihr 25. Jubiläum feiern, sondern frühestens 1981 das Abitur machen können. Es war also schon ein kleines Wunder, dass bereits am 7. September 1971 das Gymnasium Unterhaching seinen Betrieb aufnahm! Und zwar mit 144 Schülern in vier Parallelklassen (leicht zu errechnen: Klassenstärke: 36!).
Am 15. Februar 1972 wurde der Architekt Betz mit der Planung des Neubaus beauftragt und bereits am 15. Oktober 1973 wurde der Grundstein gelegt. Doch die ursprüngliche Planung musste mehrmals entscheidend geändert werden. Auch dies eine Parallele zum jetzigen Erweiterungsbau! Die noch wichtigere Parallele aber: damals wie heute wurde sehr zügig gebaut. Heute wie damals war der zunehmende Baufortschritt geradezu atemberaubend! Ein knappes Jahr nach der Grundsteinlegung am 17. September 1974 waren bereits 14 Räume bezugsfertig. Der Münchner Merkur titelte: „Kunststück macht Einzug möglich“. Zur Vermeidung von Schichtunterricht nahmen Lehrkräfte und Schüler den Unterricht „auf der Baustelle“ in Kauf. Am 12. September 1975 wurde der volle Schulbetrieb im neuerbauten Gebäude aufgenommen und am 14. November 1975, wie schon erwähnt, die Schule feierlich eingeweiht.
Aber wie ging es weiter? Rasant! Vor allem, was die Schülerzahlen betrifft! Das Schuljahr 1976/77 startete mit neun (!) 5. Klassen, alle mit 36 oder 37 Schülern aufgefüllt, und Dieter Appel beschrieb das Drama in der SZ vom 7. Januar 1977 so: „Klassen müssen ausgelagert werden – Zustrom ohne Aussicht auf Entlastung – Dem Gymnasium Unterhaching droht Schichtunterricht“. Als die Schule 1980 die ersten Abiturienten entließ, platzte das „GU“ aus allen Nähten! Erst ab dem Schuljahr 1980/81 trat eine langsame Entlastung ein. Betrachtet man die Anzahl der 5. Klassen in diesem Zeitraum, so sieht man deutlich, welche Erleichterung uns die Gründung des Gymnasiums Oberhaching verschaffte. Hatten wir im Schuljahr 76/77 noch neun 5. Klassen, so waren es im Jahr darauf nur mehr vier. Trotz dieser Entlastung ab der 10. Jahrgangsstufe mussten wir dennoch einen gewaltigen Berg vor uns herschieben. Klassen mussten ausgelagert werden. Die benachbarte Grundschule gewährte wieder „Asyl“ und Lehrer und Schüler pendelten wieder, wie schon Jahre zuvor, zwischen beiden Häusern. Nun ist der Altbau, der offiziell für maximal 1160 Schüler ausgelegt ist, mit ca. 1200 Schülern wieder einmal an seine Grenzen gestoßen. Der Zuzug – gerade auch junger Familien – nach Unterhaching und in die umliegenden Orte ist ungebremst. Die Bebauung der Stumpfwiese und der riesige Infineon-Komplex in direkter Nachbarschaft sind nur die markantesten Beispiele dafür.
In diesem Schuljahr (2005/06) haben wir wieder sechs 5. Klassen! Und insofern war es absolut keine Utopie, sondern nur klug und vorausschauend, dass ein Erweiterungsbau noch rechtzeitig in Angriff genommen wurde und nicht erst in Planung kommt, wenn es überhaupt nicht mehr anders geht, wenn wieder Klassen ausgelagert werden, wieder Schichtunterricht stattfinden muss. All das hatten wir schon einmal bitter und zum Nachteil der Schüler und Lehrer erlebt. Schon 1997 rechnete Herr Durner den Gemeinden vor, dass in zehn Jahren mindestens 300 Schüler mehr zu verkraften seien. Am 11. März 2001 wurde der Erweiterungsbau beschlossen. Der Architekt sollte wieder Betz heißen. Herr Durner hatte ein stolzes 40-Millionen-(DM!)- Projekt vor Augen, dessen Herzstück eine neue Aula sein sollte. So weit so gut. Aber dann kam die kalte Dusche! In der Zeitung las man: „Schulvision von Durner fällt dem Rotstift zum Opfer“. Und mit dem, was noch übriggeblieben ist, wollte sich der Direktor nicht abfinden. Wer aber meinte, er würde nun aus Enttäuschung alles hinschmeißen, kannte den Taktiker und das Stehaufmännchen Durner schlecht! Den Kommunen bot er die Nutzung der Aula auch für ihre Zwecke an; und blitzschnell sprang er auf den Zug der vom Bund geförderten Ganztagsbetreuung. Und schon waren die nach innen und außen bespielbare großzügige Aula mit den beiden Auditorien, die Erweiterung des Westhofes sowie die großzügige Mensa – letztere auf Kosten von Schröder und Buhlman! – gerettet und wieder in der Planung.
Am 2. Mai 2004 war Baubeginn. Und so erlebte ich das Gymnasium Unterhaching zum zweiten Mal als riesige Baustelle, zum zweiten Mal sah ich die Vollendung einer grandiosen, gelungenen Planung, und zum zweiten Mal bin ich Gast einer großen Einweihungsfeier an der Jahnstraße 3. Das berührt schon! Und neben noch so vielen Unterschieden bei der Realisierung beider Projekte sehe ich eben doch auch die beschriebenen Parallelen. Zum Schluss noch ein Kompliment an die Architekten! Betz jun. hat nicht einfach hemdsärmelig an das Werk des Vaters irgend etwas Neues „drangepappt“, sondern trotz neuester Technik eine schöne harmonische, organische Einheit erreicht. Nichts wirkt angestückelt! Als Opernfreund fällt mir dabei die große Arie des Cavaradossi aus dem 1. Akt von Puccinis Oper „Tosca“ ein. „Wie sich die Bilder gleichen!“, heißt es da. Und was der Maler Cavaradossi auf zwei schöne Frauen bezieht, möchte ich nun auf Alt- und Neubau unseres Gymnasiums übertragen, zumal der Tenor fortfährt: „Hat doch die Kunst geheimnisvoll / beider Schönheit vereint.“
Und schon waren die nach innen und außen bespielbare großzügige Aula mit den beiden Auditorien, die Erweiterung des Westhofes sowie die großzügige Mensa – letztere auf Kosten von Schröder und Buhlman! – gerettet und wieder in der Planung.
Am 2. Mai 2004 war Baubeginn. Und so erlebte ich das Gymnasium Unterhaching zum zweiten Mal als riesige Baustelle, zum zweiten Mal sah ich die Vollendung einer grandiosen, gelungenen Planung, und zum zweiten Mal bin ich Gast einer großen Einweihungsfeier an der Jahnstraße 3. Das berührt schon! Und neben noch so vielen Unterschieden bei der Realisierung beider Projekte sehe ich eben doch auch viele Parallelen, die ich ja z. T. auch kurz angedeutet habe. Zum Schluss noch ein Kompliment an die Architekten! Betz jun. hat nicht einfach hemdsärmelig an das Werk des Vaters irgend etwas Neues „drangepappt“, sondern trotz neuester Technik eine schöne harmonische, organische Einheit erreicht. Nichts wirkt angestückelt! Als Opernfreund fällt mir dabei die große Arie des Cavaradossi aus dem 1. Akt von Puccinis Oper „Tosca“ ein. „Wie sich die Bilder gleichen!“, heißt es da. Und was der Maler Cavaradossi auf zwei schöne Frauen bezieht, möchte ich nun auf Alt- und Neubau unseres Gymnasiums übertragen, zumal der Tenor fortfährt: „Hat doch die Kunst geheimnisvoll / beider Schönheit vereint.“
Bernhard Hilz (Studiendirektor)